Wo sind die faulsten Lehrer Deutschlands? So richtig wird man das wohl nicht beantworten können. Aber während der Zeit vor den Sommerferien 2020 hat sich gezeigt: In NRW haben sich besonders viele selbst vom Dienst abgemeldet.
Joachim Stamp, Familienminister von Nordrhein-Westfalen, ist aktuell bei Lehrern nicht gerade beliebt. In einem TV-Interview hat er Lehrerinnen und Lehrer in NRW kritisiert. Manche, so Stamp, haben sich während des Lockdowns zu Hause bequem eingerichtet und seien abgetaucht.
Gleichzeitig hat Stamp aber auch das Engagement vieler Lehrenden während der Corona-Zeit vor den Sommerferien gelobt. Für ihre Kreativität in einer schwierigen Phase. Für ihren täglichen Kontakt zu den Schülern. Auch auf Distanz.
Lehrerverbände laufen Sturm
Es entspricht der Natur der Sache, dass Lehrerverbände gegen solche Kritik Sturm laufen. Das ist ihr Job als Interessenvertretung. So warf Maike Finnen von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW (GEW) dem NRW-Familienminister ein unsägliches Lehrer-Bashing und eine infame populistische Herabsetzung von Lehrern vor.
Ähnlich groß der Ärger beim Verband Bildung und Erziehung (VBE). Landesvorsitzender Stefan Behlau warf Stamp vor, engagiertem Schulpersonal vor den Kopf zu stoßen. Diese Reaktionen sind – wie schon erwähnt – natürlich Pflichtprogramm bei Interessenvertretungen.
Tatsächlich ist es aber wie so oft im Leben ein gemischtes Bild, das sich Eltern in der Zeit vom 15. März 2020 bis zum Beginn der Sommerferien präsentiert hat. Von Lehrerinnen und Lehrern, die in ihrer 25-Stunden-Woche teilweise 60 Stunden gearbeitet haben. Videomeetings mit den Schülern vorbereitet. Onlineunterricht gehalten. Hausaufgaben entgegengenommen. Hausaufgaben korrigiert. Persönliche Einzelgespräche geführt.
Dann diejenigen Lehrer, die aus ihrem umfangreichen Schatz an Arbeitsblättern alles Verfügbare an Eltern oder Schüler per E-Mail geschickt haben. Kommando: Macht mal! Beschäftigungstherapie – mal mit, mal ohne Rückmeldungen bei erledigten Aufgaben. Persönlicher Kontakt? Eher selten.
Die faulsten Lehrer waren dann einfach mal weg
Ja, und dann sind da noch die Lehrenden, die mit dem Lockdown in der Versenkung verschwunden sind. Den eigenen Keller mal richtig aufräumen. Den frühlingshaften Garten pflegen. Schöne Bücher lesen. Oder vielleicht mit dem Wohnmobil in die eigene Ferienwohnung fahren und da den Keller aufräumen, den Garten pflegen, die Seele baumeln lassen…
Letztere nur Einzelfälle? Zahlen aus der Praxis gibt es bei den Lehrerverbänden dazu leider nicht. Persönliche Erfahrungswerte aus Familien schon. Wenn einzelne Fächer über drei Monate nicht stattgefunden haben, dann darf man schon darüber sagen, dass diese Lehrer abgetaucht sind. Beliebte Ausreden solcher Schulschwänzer waren unter anderem:
- Onlineunterricht, das ist nicht mein Ding. Ich brauche den persönlichen Kontakt zu meinen Schülern in der Klasse.
- Videomeetings mit Schülern? Viel zu gefährlich!
- Digitales Lernen? Bloß nicht vor 15 Jahren!
- Meine Schüler können mit Onlineunterricht ja gar nicht umgehen.
Es gibt also eine Menge gute Gründe, warum sich viele Gärten von Lehrerinnen und Lehrern aktuell in einem ausgezeichneten Pflegezustand befinden. Warum der Sportlehrer seine Fitness für den nächsten Marathon möglicherweise enorm steigern konnte. Warum der Mathelehrer jetzt einen flammneuen Innenausbau in seinem VW Bulli hat – rechtzeitig zum Ferienbeginn. Oder warum die Englischlehrerin ihre Webseite für Straßentiere aus Südeuropa endlich komplett überarbeitet hat.
In NRW besonders viele Lehrer out of Order…
Bei aller Polemik: Warum nun ist die Frage dieses Artikels, ob NRW die faulsten Lehrer Deutschlands hat? Schließlich könnte man denken, dass gut bestellte Lehrergärten gerade ein bundesweites Phänomen sind. Man könnte. Aber es gibt gute Hinweise darauf, dass dies in NRW besonders ausgeprägt sein dürfte.
Tatsächlich nämlich haben sich in Nordrhein-Westfalen die meisten Lehrer selbst ein Attest auf Arbeitsunfähigkeit in der Corona-Krise ausgestellt. Fast 30 Prozent der NRW-Lehrkräfte waren zeitweise auf eigenen Wunsch nicht im Präsenzunterricht. Zum Vergleich: Auch beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern (16 Prozent), Berlin und Hessen (10 bis 15 Prozent), Rheinland-Pfalz (15 Prozent) oder Sachsen-Anhalt (8 Prozent) waren Lehrer vor den Sommerferien nach selbst ausgestelltem Attest nicht in der Lage zu unterrichten. An die 30 Prozent von NRW kommt allerdings kein Bundesland auch nur ansatzweise.
In Schleswig-Holstein bislang nur 1 Prozent anerkannt
Mit der Attestpflicht werden diese Zahlen nun sinken. In Schleswig-Holstein waren zum Start ins neue Schuljahr nur 1 Prozent der Lehrer vom Betriebsarzt vom Präsenzunterricht befreit. 7 Prozent hatten einen Antrag gestellt. Das Land setzt die dazu geltenden Vorschriften sehr streng um. In NRW werden im Zuge der Attestpflicht wohl 15 bis 20 Prozent der Lehrer vom Präsenzunterricht befreit.
Sind Lehrende in NRW also generell in einem so viel schlechteren Gesundheitszustand? Gelten dort vielleicht laxere Regeln (ähnlich lax, wie oft oft auch die Benotung der Schüler dargestellt wird)? Sind NRW-Lehrer generell unwilliger, weil sie möglicherweise eine viel höhere Dichte an Problemen in Schulen bewältigen müssen (Brennpunktschulen, Inklusion)? Oder hat man als Lehrender in NRW einfach keinen Bock? Hat NRW die faulsten Lehrer Deutschlands?
Kommt Homeschooling schon bald wieder?
Wie Corona sich langfristig auf den Schulbetrieb in ganz Deutschland auswirken wird, ist bislang kaum zu erahnen. Präsenzunterricht in voller Klassenstärke ist das erklärte Ziel auf der einen Seite. Regelmäßige Schließungen ganzer Schulen als Reaktion auf einzelne Infektionen die Konsequenz auf der anderen Seite. Es wird sich zeigen, welche Rolle im Laufe der kommenden Jahre Homeschooling und Onlineunterricht spielen werden.
Stehen und fallen wird der Unterricht der Zukunft mit dem Engagement der Lehrerinnen und Lehrer. Auch diese sind bekanntlich nur Menschen. Die immer weiter dazu lernen müssen, wenn sie ihren Beruf effektiv ausüben wollen. Dazu gehört auch, sich in neuen Lernmethoden fit zu machen. Sich im Umgang mit Technik neue Fähigkeiten anzueignen. Sich kritikfähig zu zeigen. Auch den Gedanken zu ertragen, dass jemand ihnen bei einem Onlinemeeting in die Karten schauen könnte.
Eltern wissen spätestens seit dem Lockdown mit Homeschooling, was Lehrer jeden Tag leisten. Jetzt genau ist die Chance für alle Lehrerinnen und Lehrer zu zeigen, was sie drauf haben. Abtauchen schadet allen nur. Den Schülern. Den Schulen. Den Lehrern selbst. Wenn eine überwältigende Mehrheit dies begreift, dann stellt sich bald gar nicht mehr die Frage, wer oder wo die faulsten Lehrer Deutschlands sind.