Jetzt noch schnell den Abend planen: einen Krimi schauen? In die Oper gehen – oder doch lieber Sex mit irgendwem haben? Ja, es geht um Casual Dating.
Einfach so mal eben ins Bett mit Fremden. Hört sich für manchen vielleicht schräg an, ist aber längst Alltag: Der Markt für Casual Dating, wie unverbindliche erotische Treffen genannt werden, wächst kontinuierlich. 2003 machten entsprechende Online-Dating-Börsen in Deutschland damit gerade einmal 1,1 Millionen Euro Umsatz, 2008 bereits 22,8 Millionen. Mittlerweile rechnen Experten mit einem Umsatz von rund 54 Millionen Euro, und für 2022 schätzen sie den Umsatz auf 72 Millionen Euro. Das sind Wachstumsraten!
Casual Dating: Doppelt so viele Männer auf der Suche
Mehr als acht Millionen Deutsche sind monatlich auf Partnerbörsen unterwegs. Und längst nicht alle suchen dabei eine Beziehung fürs Leben. „Rund ein Drittel aller Online-Dater suchen Sexkontakte“, sagt Andia Bothe vom Vergleichsportal zu-zweit.de. Wobei da etwa doppelt so viele Männer wie Frauen unterwegs sind. Das zeige sich auch in der Art der Werbung, so Bothe: „Da sind meistens erotische junge Frauen zu sehen.“ Man sehe die Geschlechterverteilung aber auch gut an den Preismodellen der Anbieter: Häufig müssen nur Männer zahlen.
Dass Casual Dating zum Massenphänomen geworden ist, hat auch mit Veränderungen in unserer Gesellschaft zu tun. „Wir sehen seit 1970 einen klaren Rückgang bei der Heiratsneigung. Wir haben mehr Singles, und gleichzeitig ist vorehelicher Sex ja schon lange kein Tabu mehr“, sagt Andia Bothe. Gut, das leuchtet ein.
Mehr Verständnis für offene Beziehungen
Aber warum ist rund ein Fünftel derjenigen, die aktiv sind beim Casual Dating, in einer Partnerschaft oder verheiratet? „Auch da ist unsere Gesellschaft deutlich liberaler geworden“, so Andia Bothe, „die offene Beziehung ist nicht mehr so verpönt“. Ohnehin sei die Ehe ja längst nicht mehr ein (fast unauflöslicher) Zweckverband wie noch vor wenigen Jahrzehnten, sondern an Liebe und Glück orientiert. Wenn da zwischenzeitlich die Fitness fehlt, sucht man das Vergnügen eben halt bei einem unverbindlichen Seitensprung. Hinzu kommen diejenigen, die in festen Beziehungen sind, aber einfach mal ihren Marktwert überprüfen möchten.
Fremdgehen oder Sex mit Fremden als Normalzustand: Sind diejenigen, die das nicht verstehen, einfach nur spießig? „Ach, ich würde sie nicht gleich spießig nennen wollen“, meint Franz Josef Wetz, Philosophie-Professor an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. „Sie werden von Idealen beherrscht, von Trennungsängsten und von Eifersucht.“ Wir seien dazu erzogen so zu denken und könnten damit oft nicht umgehen.
Der Schlüssel beim Casual Dating: Vertrauen wahren, Geheimnisse behalten
Zum Fremdgehen hat der Philosoph einen klaren Standpunkt – und diesen in seinem Buch „Lob der Untreue“ dargelegt. „Man muss nicht gleich die Koalitionsfrage stellen, bloß weil der Partner mal einen Seitensprung begeht“, sagt Wetz. Schließlich wisse doch jeder, dass es im Laufe einer langjährigen Beziehung zu immer weniger Schwingungen komme. Also machen und einfach mal die Klappe halten? „Zu einer gelungenen Beziehung gehört von vornherein der schwierige Spagat zu sagen: Mein Vertrauen schließt nicht aus, dass der andere seine Geheimnisse behält“, so Wetz. Das heiße nicht, dass man nicht einander vertrauen könne – sei aber ein sehr schwieriger Schritt. Lügen um das Vertrauen aufrecht zu erhalten, über so einen Ansatz muss man erst einmal nachdenken.
Mal abgesehen von Seitensprüngen: Das Bedürfnis nach einem schnellen, flüchtigen Abenteuer – also das, was Casual Dating ausmacht – habe es schon immer gegeben. „Die Möglichkeiten dazu aber nicht“, sagt Wetz. Das Internet und eine generell offenere Gesellschaft sind aber nur die eine Seite der Entwicklung, die andere unser Wohlstand. „Natürlich hat man früher auch sexuelle Phantasien gehabt. Aber schwere Arbeit dämpft so sehr wie kalte Duschen.“
In der Beziehung setzen die Jungen dann doch auf Treue
Gut, dann arbeitet man sich heute eben anders ab. Aber wirklich quer durch alle Altersgruppen? „Den größten Anteil beim Casual Dating haben die 25- bis 34-Jährigen“, sagt Andia Bothe. Je älter die Menschen sind, desto seltener also der Wunsch nach flüchtigen Abenteuern. Was nicht heißt, dass bei älteren Semestern das Verständnis fehlt. „In meinen Seminaren, bei denen es auch um Seitensprünge geht, stelle ich regelmäßig fest, dass die jungen Studenten meist auf Seiten der Treue sind. Anfang 20 weiß man eben noch nicht, wie sich eine 20-jährige Beziehung anfühlt“, so Franz Josef Wetz. „Im Seniorenstudium aber sind viele dabei, die das nachvollziehen können.“
Rund 2500 Portale für die Partnersuche gibt es in Deutschland – von der Suche nach der Liebe des Lebens bis zu Nischenseiten mit Fetisch-Themen. Immer sei es wichtig, das Kleingedruckte der Anbieter zu lesen, sagt Andia Bothe vom Vergleichsportal zu-zweit.de. „In den Geschäftsbedingungen, die meist Unterhaltungsrichtlinien genannt werden, findet man zum Beispiel auch, ob der Anbieter professionelle Chat-Partner einsetzt, die die Nutzer in lange Gespräche verwickeln sollen, die weitere Kosten verursachen.“ Ebenfalls nicht unüblich sei der Einsatz von Bots – also von Computerprogrammen, die die Nutzer kontaktieren. „Wer sich gerade bei einem Portal angemeldet und nicht mal ein Foto hochgeladen hat, sollte seine Zweifel haben, wenn direkt fünf Anfragen kommen, weil man so gut aussieht“, sagt Andia Bothe.
Dieser Beitrag ist ursprünglich bei ZDF online / heute.de erschienen. Autor: Christian Thomann-Busse