Autonom fahrende Züge: Mehr als nur eine Vision

Not macht bekanntermaßen erfinderisch, und die Not der Bahnkunden ist gerade ziemlich groß. Was also, mag sich nun mancher denken, wäre eigentlich, wenn Züge auch ohne störrisch streikende Lokführer fahren könnten? Autonom fahrende Züge. Sie können es längst – und tun es vielleicht auch schon bald.

Ohne Lokführer im Zug unterwegs? Autonom fahrende Züge in Deutschland? In Nürnberg kennt man das schon bei der U-Bahn. Es funktioniert bestens, und vor allem in Stoßzeiten können weitere Bahnen eingesetzt werden, ohne dass weiteres Personal benötigt wird. „Bei U-Bahnen haben wir ein geschlossenes Tunnel-System, das für einen automatischen, fahrerlosen Betrieb besonders geeignet ist“, sagt Joachim Winter, Leiter des Projekts „Next Generation Train“ beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

International sind autonom fahrende Züge schon oberirdisch unterwegs

International allerdings beschränkt man sich im vollautomatisierten Zugverkehr längst nicht mehr nur auf geschlossene, unterirdische Systeme. Die Docklands Light Railway beispielsweise fährt seit 1987 auf einer 34 Kilometer langen Strecke ohne Fahrer. Sie ergänzt das Londoner Nahverkehrssystem. Unter- und oberirdisch. Ähnlich die Metro von Dubai: Hier verlaufen nur knapp 19 Kilometer des Strecke unter der Erde, bis zu 200 Kilometer lang soll das Gesamtnetz werden. Größtenteils also oberirdisch.

Und noch in diesem Jahr will Siemens die ersten von insgesamt 58 fahrerlosen Metrozüge nach Malaysia liefern. Bis zu 1.554 Fahrgäste kann jeder Zug befördern, eingesetzt werden sie auf einer 51 Kilometer langen Trasse, die Kuala Lumpur mit der Region Klang Valley verbindet.

Blick auf die sicherheitstechnische Seite

„An der Frage, Züge ohne Lokführer zu betreiben, muss man nicht mehr groß forschen“, sagt DLR-Experte Joachim Winter. Wichtiger sei es da schon, einen Blick auf die sicherheitstechnische Seite zu werfen: die Sicherung der Gleisanlagen und der Bahnsteige zum Beispiel. „Aber auch hier ist schon eine Menge erforscht worden, schon vor Jahren hat Bombardier intensiv an der Erfassung über Scanner gearbeitet“, sagt Winter. Auch hier lautete das Fazit, wie auch bei der Beobachtung von Strecken per Kamera: Autonom fahrende Züge, das geht.

Nach wie vor sei der Mensch allerdings Computern gegenüber im Vorteil, Informationen schneller erfassen und logisch verknpüpfen zu können. Gut vorstellbar sei, so Winter, dass ein Mensch von einer Zentrale aus beispielsweise fünf Züge fährt und im Falle eines Falles auf einen Zug zugreifen kann, wenn er in Schwierigkeiten ist. Vieles an Infrastruktur, zum Beispiel Kontaktschleifen in den Gleisen, sei bereits vorhanden, andere digitale Voraussetzungen könnten in den kommenden Jahren geschaffen werden.

Noch stellen Lokführer die Geschwindigkeit ein

Noch sitzen Lokführer, wenn sie nicht gerade streiken, in Deutschland allerdings in Zügen und stellen dort die Geschwindigkeit ein. „Je nach Zugmodell hat der Lokführer nur noch einen einzigen Hebel, den er bedient“, sagt DLR-Experte Winter. In modernen Zügen wie dem ICE 3 muss der Lokführer oft nur noch zwischendurch die Totmann-Taste drücken. So zeigt er, dass er noch bei Bewusstsein ist. „Aber selbst das könnte man heute mit Sensorik erkennen, die man aus der Automobiltechnik kennt, um Sekundenschlaf zu identifizieren.“

Dass die Bahn, aktuell übelst im Clinch mit ihren Lokführern, in der Vergangenheit immer betont hat, am Personal im Cockpit von Zügen festhalten zu wollen, hat vermutlich vor allem einen Grund: „Bislang ist nicht geklärt, wer in der Haftung ist, wenn es bei einem Zug, der ohne Lokführer fährt, doch einmal zu einem Unfall kommt“, erklärt Joachim Winter. Möglicherweise drängen jetzt der eine oder andere Schienennetzbetreiber da doch auf eine baldige juristische Klärung.