Blitzender Chrom, Ecken und Kanten, eine unverwechselbare Silhouette: So ein Oldtimer ist doch einfach wunderbar! 30 Jahre und älter müssen sie sein für ein H-Kennzeichen. Aber Moment: Ist der Golf II nicht auch seit mehr als 30 Jahren auf der Straße? Der und ein Oldtimer? Das wird wohl nix…
Es ist eigentlich schade, und es tut mir auch leid, aber für unsere aktuellen Fahrzeuge, die sich auf Deutschlands Straßen tummeln, sehe ich irgendwie schwarz. Schwarz für deren Zukunft als Oldtimer von morgen. OK, vielleicht nicht für alle – der Corrado in der Garage meines Schwagers hat irgendwie schon das Zeug dazu, italienische Luxusflitzer ohnehin, und der Landy ist ja schon geliebte Steinkohle, selbst wenn er frisch aus der Fabrik kommt. Aber die große Masse, die da unterwegs ist?
Oldtimer brauchen mehr als nur viele Jahre auf dem Buckel
Brot-und-Butter-Autos nennt man ja gerne die Alltagsfahrzeuge des kleinen Mannes der 50er bis 70er Jahre des abgelaufenen Jahrtausends: Käfer, Kadetts, Badewannen, Strich-Acht und und und… Autos, die mal massenhaft im Dienst des Volkes standen und heute ebenso von Oldtimerliebhabern aus dem Volk gehätschelt und getätschelt werden. Einstige Massenfahrzeuge eben, erschwinglich zwar, aber jedes für sich ein Typ. Liebenswert, einzigartig, sammel- und erhaltenswürdig. Aber der Golf II, geradezu Sinnbild für Brot und Butter der Achtziger? Jetzt mal im Ernst! Irgendwo da, 1983, muss Autos etwas abhanden gekommen sein. Oder?
„Kinderaugen entdecken sofort einen Oldtimer auf der Straße. Am Chrom, an der unverwechselbaren Form, an seinem Stil. Kein Kind würde einen heute 25 Jahre alten Wagen als Oldtimer oder zumindest als Youngtimer einstufen – höchstens als altes Auto, das nicht mehr schön ist“, sagt Marius Brune vom Fahrzeugbewerter Classic Data. Da ist was dran, an den Kinderaugen, die sicherlich auch aus manchem autoverliebten Mann schauen. All die Astra und Golf, die A-Klasse und Xanthia also kaum mehr als Futter für die Schrottpresse? Nix fürs Herz dabei? Sieht momentan fast so aus… Zumindest optisch.
Glattgelutschtes Design-Einerlei mit wenig Potenzial
Mangelnde optische Reize im glattgelutschten Design-Einerlei: Oldtimerexperte Brune sieht darin nicht das einzige Fragezeichen, ob unsere aktuellen Fahrzeuge jemals wirklich nette Oldtimer abgeben werden. „Wir wissen gar nicht, wie sich das mit dem Öl weiterentwickelt. Kann man in 20 oder 30 Jahren überhaupt noch mit herkömmlichen Kraftstoffmotoren fahren? Darf man das dann noch? Ich glaube nicht, dass man die Entwicklung vergangener Jahrzehnte auf die Zukunft von Oldtimern projizieren kann.“ Harte Worte, und dann der Tiefschlag: „Nicht zu vergessen: An heutigen Autos öffnet man bei einer Panne die Motorhaube ja nur noch pro forma – eigentlich macht doch fast immer die Elektronik Probleme.“
Oh oh, die Elektronik! Wie war das noch gleich mit meinen Computern? Drei von vier gingen in die ewigen Jagdgründe, weil ein Bauteil defekt war, für das es keinen Ersatz mehr gab. Zu alt, zu langsam, nicht mehr produziert. Kam da nicht gerade erst im Vorfeld der IAA die Botschaft, dass demnächst alle Autos online sein werden? Das waren meine alten Computer früher auch mal, so vier bis fünf Jahre jeweils…
Wehe, wenn beim Oldtimer dann die Elektronik streikt
Klar, auch bei Autos gehen elektronische Bauteile kaputt – und das reihenweise. Kaputtes Teil raus, heiles rein – fertig. So sehen heute viele Reparaturen aus. Aber was, wenn bestimmte Elektronik-Komponenten nicht mehr geliefert werden, weil sie nach X Jahren aus dem Ersatzteilsortiment des Herstellers rausfliegen? Dann kommen Elektronik-Spezialisten wir Enrik Peter zum Zuge: Steuergeräte reparieren statt einfach neu gegen alt tauschen. Das macht der Geschäftsführer von EPS Elektronik heute schon für Oldtimer – vor allem aber für aktuelle Fahrzeuge.
„Elektronikprobleme könnten wirklich eine Ursache dafür sein, dass moderne Fahrzeuge weniger Chancen darauf haben, später einmal als Oldtimer unterwegs zu sein“, sagt Ingenieur Peter. „Elektronik altert schnell, Bauteile werden oft schon nach fünf Jahren abgekündigt.“ Bereits jetzt steht sein Team häufig vor dem Problem, dass Ersatzteile für Steuergeräte nur über Umwege in Fernost erhältlich sind – und auch nicht immer halten, was sie versprechen. Die Chancen, dass sich ein passendes Teil in 20 Jahren auftreiben lässt, stehen da nicht gerade gigantisch groß…
Klar, für viel Geld ist vieles möglich
Und dass auch unproblematische Motorelektronik irgendwann einfach vom Zahn der Zeit angenagt werde, sehe man mittlerweile bei Fahrzeugen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. „Diese Elektronik hat nun 30 oder 40 Jahre gehalten, aber irgendwann kommt die Materialermüdung. Dann geben Lötbahnen und Kondensatoren den Geist auf“, sagt Enrik Peter.
Die Elektronik von damals, die sei noch solide gewesen. „Heute wird bleifreies Lot verwendet, das senkt die Lebensdauer. Den Geräten von heute gebe ich keine 30 Jahre.“ Natürlich könnte man in drei Jahrzehnten sicherlich irgendwie auch die Elektronik eines sündhaft teuren Mercedes SLS wieder in Gang kriegen – es sei eben alles eine Frage des Preises. Aber für einen Golf II? Ich ahne Böses für kommende Oldtimergenerationen.
Dieser Beitrag ist 2016 bei ZDF online / heute.de erschienen. Autor: Christian Thomann-Busse