Fume Events: Wie gefährlich ist Fliegen wirklich?

Der Geruch alter Socken kann schon ziemlich abstoßend sein. Tritt er in einem Flugzeug auf, besteht außer dem Ekelfaktor möglicherweise aber Gefahr für die Gesundheit: Grund des Geruchs könnte eines der so genannten „Fume Events“ sein, und damit verbunden die zumindest kurzfristige Kontaminierung der Atemluft.

Fume Events stehen seit Jahren im Verdacht, Flugzeug-Crews und Passagieren die Luft zu vergiften. Der technische Vorgang geht so: Die Atemluft wird üblicherweise über die Triebwerkskammern in die Kabine geleitet. Ist dort, im Triebwerk, eine Undichtigkeit, verdampft möglicherweise auch Triebwerksöl. Dieser Dampf wird dann mit in die Atemluft geleitet. Und er stinkt nicht nur, sondern enthält unter Umständen auch ein gefährliches Nervengift: TCP.

Übelkeit, Kopfschmerzen und Erbrechen

TCP ist die Abkürzung für Trikresylphosphat. Symptome für ein akutes Vergiftungsbild sind unter anderem Übelkeit, Kopfschmerzen und Erbrechen, können aber auch Bewusstlosigkeit und Koma sein. „Rund 80 Prozent aller Menschen bauen Organophosphate relativ schnell wieder ab, aber bei einigen kann dies der Körper nur langsam oder gar nicht“, sagt Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit.

Ein solcher Betroffener war möglicherweise der Pilot Richard Westgate. Nach seinem Tod hatte ein internationales Team aus Pathologen und Flugmedizinern nun die Gelegenheit, seinen 43 Jahre alten Körper zu untersuchen. Dabei wurden beträchtliche neurologische Schäden an Gehirn und Rückenmark sowie Schädigungen des Herzgewebes entdeckt und von den Medizinern als Anzeichen für Vergiftungen mit TCP gewertet. „Wir sehen uns in unseren Befürchtungen bestätigt, dass Giftstoffe in der Kabinenluft zu schwersten Schäden für die Gesundheit führen können“, so VC-Sprecher Handwerg.

„Fume Events sind aufgetreten“

Dass Fume Events im Flugalltag nicht unbedingt die Regel sind, aber immerhin regelmäßig geschehen, zeigt eine gerade veröffentlichte Studie der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU). In dieser Studie wurden insgesamt 663 gemeldete Vorfälle untersucht – 460 Fälle davon mit Geruchs- und 188 mit Rauchentwicklung. Eine Schlussfolgerung der BFU: „Fume Events sind aufgetreten und haben zu einer Verunreinigung der Kabinenluft geführt.“ Dies habe auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Flugzeuginsassen geführt und Mitglieder der Kabinenbesatzung in ihrer Arbeitsleistung behindert. Ob und welche Mengen an TCP dabei im Spiel waren, konnte im Rahmen der Studie nicht geklärt werden.

Cockpit: „Sensibilität ist heute größer“

Interessant: Über den Untersuchungszeitraum 2006 bis 2013 stiegen die Meldungen über „Geruch“ von anfangs 18 (2006) auf zuletzt 146 an. Für Cockpit-Sprecher Jörg Handwerk ein klares Zeichen für eine angewachsene Aufmerksamkeit: „Wir haben sehr viel Aufklärung bei unseren Mitgliedern betrieben. Die Sensibilität ist heute größer als noch vor einigen Jahren.“ International sei man da schon weiter, in England habe man schon „vor Jahren über Tausend Fälle gehabt“.

„Bis heute hat man nicht einmal eine Standardisierung hinbekommen, um wenigstens Parameter festzulegen, die nach Fume Events untersucht werden müssten. Es gibt massive Widerstände seitens der Flugzeugbauer, die versuchen das Thema totzuschweigen.“

Jörg Handwerg, Pilotenvereinigung Cockpit

Dass die Kabinenluft nicht unbedingt über die Triebwerke geleitet werden muss, sieht man an der Bauweise der neuen Boeing 787. Für Maschinen im Bestand allerdings gibt es laut Jörg Handwerg keine schnellen Lösungen. Dabei könnte man, so der Sprecher, über Filtertechnik und Sensoren sicherlich eine Menge erreichen: „Genau das machen die großen Hersteller wie Airbus oder Boeing nicht. Statt dessen mauern sie mit dem Hinweis, dass es keine Beweise für Gift in der Luft gibt.“ Die Luftfahrtgesellschaften seien da bereits ein Stückchen weiter und hätten erkannt, dass es ein Problem gäbe – auch mit dem eigenen Image. „Sie wollen eigentlich etwas machen, trauen sich aber nicht, den Herstellern massiv auf die Füße zu treten“, so Handwerg.

Fume Events: Ein höchst sensibles Thema

Wie sensibel das Thema ist, zeigt auch das kürzliche Auftauchen einer fünf Jahre alten Studie in den Medien. Condor hatte sie 2009 bei Fresenius in Auftrag gegeben um herauszufinden, ob und wie belastet ihre eigenen Flieger seien. „Die Ergebnisse zeigen, dass bei keiner der umfangreichen Luftmessungen Belastungen in der Kabinenluft nachgewiesen werden konnten. Lediglich äußerst geringe Spuren von TCP wurden bei den parallel genommenen Wischproben in der Kabine an 19 Prozent der Messpunkte festgestellt“, erklärte Condor nun vor einigen Tagen. Die gefundene Menge liege 100- bis 1000-fach unter der Menge, die toxische Symptome verursache.

Warum wird im Zusammenhang mit Fume Events im Flugzeug immer wieder der Geruch alter Socken zitiert? „Das Problem an der ganzen Geschichte ist, dass wir Menschen keinen Sensor haben“, sagt Cockpit-Sprecher Jürg Handwerg. Also müssen wir uns auf unsere Nase verlassen. „Die eigentlich giftigen Stoffe sind geruchlos. Was nach alten Socken riecht, sind Schwefelverbindungen, die beim Verdampfen des Öls freigesetzt werden.“ Aber nicht immer muss es nach Socken riechen – manchmal auch zum Beispiel verbrannt oder muffig.

Dieser Beitrag ist im August 2014 bei ZDF online / heute.de erschienen. Autor: Christian Thomann-Busse