Kochen ohne Einkauf? Das geht. Kochboxen sind en vogue. Das Prinzip: Rezeptideen und Zutaten kommen vom Dienstleister, nur auspacken und zubereiten muss man noch selbst. Ein Selbstläufer?
Rund 1,7 Milliarden Euro ist HelloFresh wert, zumindest in den Augen von Investoren. Als erster deutscher Anbieter von Kochboxen ist das Unternehmen jetzt an der Frankfurter Börse gestartet. Eigentlich eine ganz banale Idee – aber mit einer Erfolgsstory, wie man sie ansonsten eher bei Hightech-Startups vermuten würde: 2011 gegründet und 2017 an der Börse. Dass HelloFresh so schnell so weit kommen konnte, liegt auch an finanzkräftiger Starthilfe: Von Anfang an mit dabei war Rocket Internet, die Startup-Schmiede der Samwer-Brüder (Zalando). Außerdem mit im Boot: Vorwerk, wo bekanntermaßen nicht nur Staubsauger, sondern auch die Kochmaschine Thermomix zu Hause ist.
Kochboxen sind mehr als nur ein Modetrend
435 Millionen Euro Umsatz hat HelloFresh im ersten Halbjahr 2017 gemacht – und dennoch 53 Millionen Verlust. Grund sind die immensen Ausgaben für die Neukundengewinnung. Und so hörte man auch gleich nach dem Börsengang vergangene Woche Stimmen, die mahnen: Trotz guter Geschäftsidee könnte es eng werden mit dem wirtschaftlichen Erfolg auf Dauer, und zwar wegen mangelnder Kundentreue. Tatsächlich schließen die Kunden bei HelloFresh wie bei anderen Anbietern auch ein Abo ab – können dies jedoch jederzeit aussetzen oder kündigen.
Rund eine Handvoll Anbieter von Kochboxen versuchen sich derzeit am deutschen Markt. Einige verschwanden bereits wieder. Die aktuellen Player heißen Kochhaus, Marley Spoon oder Kochzauber – und wie es sich für trendige Startups gehört, haben sie alle eine Adresse in Deutschlands Gründermetropole Berlin. Recht ähnlich auch die Preisgestaltung: Rund 40 Euro kostet eine Box mit drei Mahlzeiten für zwei Personen. Unbestrittener Platzhirsch allerdings ist HelloFresh, wo massiv ins Marketing investiert wurde und wird.
Doch lohnen sich solche Investitionen langfristig, oder sind Kochboxen am Ende vielleicht doch nur eine kurzlebige Modeerscheinung? Der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann sieht in der gesellschaftlichen Entwicklungen große Chancen für Anbieter von Kochboxen: „Es wird zukünftig mehr Menschen geben, die mehr Geld als Zeit haben, und die nehmen jeden denkbaren Service in Anspruch um Zeit zu gewinnen“, so Wippermann. Und gerade der Einkauf von Lebensmitteln sei eben ziemlich zeitaufwändig. Übrig bleibe eben Zeit zum Genießen – zum Beispiel beim Kochen.
Bereinigung des Marktes der Kochboxen vorprogrammiert
Die Frage sei allerdings, wie viele von den neuen Geschäftsmodellen übrig bleiben. „Die Bereinigung des Marktes ist vorprogrammiert, am Ende wird vielleicht nur ein Anbieter das Geschäft dominieren“, sagt der Trendforscher. Ein junges, hart umkämpftes Feld: So fragen sich Beobachter beispielsweise derzeit, wie der Internetgigant Amazon mit seiner jungen Lebensmittelsparte Amazon Fresh agieren wird – mit einem eigenen Angebot für Kochboxen oder mit einer Kooperation?
Dass viele Deutsche derzeit generell noch skeptisch sind, was den Versand von Lebensmitteln angeht, zeigt eine aktuelle Studie der Markeninhalte-Agentur Territory: 80 Prozent der Deutschen haben demnach noch nie Lebensmittel über den Onlinehandel bezogen. Ein Großteil fürchtet vor allem, dass Qualität und Frische nicht den gewünschten Vorstellungen entsprechen könnten. Und gerade bei Fleisch, Fisch und Wurstwaren sind die meisten Befragten skeptisch, was den Onlinekauf angeht.
Bei Kochboxen bleibt mehr Zeit für die Freude am Kochen
Ähnliche Bedenken hatte auch Wiebke Arnolds-Falck, als sie vor gut einem Jahr ihre erste Kochbox geordert hat. Die Neugier war größer, die Bedenken bald aus dem Weg geräumt: „Wir waren erstaunt, wie gut das System aus Kühlpacks und Isolationsmaterial die Nahrungsmittel selbst im Hochsommer gekühlt hat“, so Arnolds-Falck. Die Mischung aus Freude am Zubereiten neuer Rezepte und Zeitersparnis beim Einkauf haben schließlich dazu geführt, dass ihre Familie zuletzt regelmäßig Kochboxen von zwei Anbietern bezogen hat.
Rund 7 Euro kostet eine Portion aus der Kochbox. Aber dass die Dortmunder Familie bei Kochboxen künftig etwas kürzer treten möchte, hat nicht einmal finanzielle Gründe: „Jede der Mahlzeiten ist für zwei Personen ausgelegt, aber die Mengen sind so bemessen, dass es immer für uns drei reicht. Es ist unterm Strich gar nicht so viel teurer im Vergleich dazu, wenn ich selbst einkaufe.“ Doch mit der Zeit nutze sich das Prinzip zumindest etwas ab: „Wir haben nicht immer Lust, dreimal pro Woche das zu kochen, was wir geliefert bekommen“, sagt Wiebke Arnolds-Falck. Pro Box gibt es nämlich immer drei verschiedene Gericht mit je zwei Portionen. Da ist sie wieder, die Frage nach der Kundentreue. Und die kann man nicht erkaufen, die muss man sich erarbeiten.
Nur ein Aspekt beim sich ändernden Konsumverhalten
Für den Trendforscher Peter Wippermann sind Kochboxen eine Entwicklung, „die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr umkehrbar ist“. Und gleichzeitig nur ein Aspekt in einem sich ändernden Einkaufsverhalten bei Nahrungsmitteln. „In den USA ist man beispielsweise schon viel weiter, was Essensservice angeht.“ Dort gebe es schon viele Geisterküchen – Restaurants ohne Gastraum für Online-Bestellungen, in denen sogar Produkte konkurrierender Fast-Food-Ketten unter einem Dach produziert werden. „Da geht es nur noch um kurze Lieferwege, darum dass die Speisen frisch und warm zum Kunden gelangen.“ Da stehe Deutschland noch ganz am Anfang.
Eine gute Handvoll Anbieter versucht sich derzeit am deutschen Markt mit Kochboxen. Wie eng es ohne finanzielle Rückendeckung werden kann, zeigt so manches Beispiel. Kochzauber aus Berlin ging Ende 2015 das Geld aus, Rettung nahte aus heiterem Himmel aus der Welt der Discounter: LIDL kaufte das Unternehmen und startete jetzt im September 2017 mit einem eigenen Angebot für Kochboxen über die Tochterfirma Kochzauber. Ebenfalls Ende 2015 ist einem anderen Vorzeigeprojekt endgültig die Luft ausgegangen: KommtEssen aus Hamburg, 2007 gestartet und nach gleichem Muster gestrickt wie das schwedische Vorbild und Erfolgsmodell Middagsfrid, ist bereits Geschichte.
Dieser Beitrag ist ursprünglich bei ZDF online / heute.de erschienen. Autor: Christian Thomann-Busse