Klassenfahrt: Der kalkulierte Rechtsbruch

Wenn Bundesländer Geld sparen möchten, ist das angesichts angespannter Haushalte vom Grundsatz her ja ein guter Plan. Aber auf dem Rücken von Bediensteten? Genau das versuchen die Länder seit Jahr und Tag, wenn es um die Klassenfahrt geht. Leidtragende sind oft die Lehrer.

An die Abschlussfahrt – damals im letzten Jahrgang – erinnern sich sicherlich noch viele. War das ein Spaß! Zumindest für fast alle. Nun gut, die Lehrer hatten wegen der einen oder anderen kleineren (oder größeren) Eskapade der Schüler vielleicht unruhige Nächte. Aber irgendwie gehört das ja auch dazu – auch zum Lehrerberuf. Nur warum sollten Lehrer, die während einer Klassenfahrt tagelang 24 Stunden in Alarmstellung sein müssen, für diese Leidenszeit auch noch Geld bezahlen?

Klassenfahrt Urteil: Lehrer dürfen nicht auf Kosten sitzenbleiben

„Es ist sachlich überhaupt nicht nachzuvollziehen, warum eine solche Dienstreise nicht auch voll erstattet werden soll“, sagt Gesa Bruno-Latocha, Referentin bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die Realität sieht allerdings häufig anders aus. Grund: Einige Länder setzten Lehrkräfte über viele Jahre dahingehend unter Druck, dass Klassenfahrten nur stattfinden können, wenn die Lehrer im Vorfeld auf die Erstattung der Kosten der Dienstreise verzichten. „Und die Länder versuchen es immer wieder“, so die Referentin.

„Dieses Thema verfolgt uns schon seit Jahrzehnten“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender beim Verband Bildung und Erziehung. Bereits im Jahr 1985 sei durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts geklärt worden, dass die Durchführung von Klassenfahrten zum Berufsbild von Lehrern gehört. „Wenn es ein solches Urteil gibt, dann ist aber auch klar, dass die Reisekosten von Lehrern übernommen werden müssen“, sagt Beckmann. Erst im Oktober 2012 hatte das Bundesarbeitsgericht geurteilt: Lehrer dürfen nicht auf ihren Reisekosten für eine Klassenfahrt sitzen bleiben. In der Praxis scheint das allerdings nicht voll aufzugehen.

Länder setzen auf das Berufsethos von Lehrern

„Auch nach der jüngsten gerichtlichen Klarstellung gibt es Länder, die darauf hinweisen: Wenn der Verzicht auf die Reisekostenerstattung wirklich freiwillig ist, dann geht das in Ordnung. Da setzt man wohl aufs Berufsethos von Lehrern, indem man ihnen den Verzicht nahelegt. Für uns ist das allerdings ein klarer Rechtsbruch“, so VBE-Vorsitzender Beckmann.

Deutlich sei, dass alle Länder nun nach Lösungen suchten, wie man beim Thema Klassenfahrt klarkommen könnte. Eine sehr wahrscheinliche Entwicklung sei, dass die Zahl der Klassenfahrten deutlich zurückgehen werde. „Die Lösung, dass Schulen nach Schüleranzahl ein festes Budget für die Fahrten der Lehrer zugewiesen bekommen, wird zu Lasten kleiner Schulen gehen“, sagt Udo Beckmann. Im Extremfall könne das dazu führen, dass einige Kinder in ihrer Schullaufbahn überhaupt nicht mehr auf Klassenfahrt gehen könnten.

Verdacht der Vorteilsannahme bei der Klassenfahrt

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, denken sich manche Länder und empfehlen Lehrern, doch bitte so genannte Freiplätze in Anspruch zu nehmen. „Viele Reiseveranstalter kalkulieren deshalb so, dass beispielsweise ab 20 Kindern ein Freiplatz angeboten wird“, sagt Beckmann. Aber: Dies sind, genau genommen, auf die Kinder umgelegte Reisekosten der Lehrer. Abseits von Diskussionen darüber, ob die Annahme eines solchen Angebotes anständig ist, birgt dieses Modell jedoch auch rechtlichen Zündstoff.

„Ich habe diesbezüglich erhebliche Bedenken“, sagt Thorsten Schmidt, Professor am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Potsdam. „In den letzten Jahren sind die Vorschriften für Vorteilsnahme erheblich verschärft worden. Man kann keinem Lehrer zumuten, sich einem Ermittlungsverfahren auszusetzen“, so der Jurist. In genau diese Gefahr begebe er sich jedoch bei der Annahme von Freiplätzen. Die Lehrer könnten zivil- und disziplinarrechtlich Probleme bekommen. Schmidt: „Genau da wird es dann zynisch, wenn das Kultusministerium auf der einen Seite sagt, man soll die Freiplätze in Anspruch nehmen und anschließend die Lehrer dafür belangen kann.“

Für Beamte gelten Bundes- bzw. Landesreisekostengesetze. Wenn ein Beamter eine Dienstreise unternimmt, dann hat er auch Anspruch auf Erstattung der Reiskosten. „Darauf kann der Beamte verzichten – muss er aber nicht“, sagt der Jurist Thorsten Schmidt, von der Universität Potsdam. „Ein typischer Fall für einen Verzicht wäre, wenn ein Beamter sich weiterqualifizieren oder einen Kongress besuchen möchte, der Etat der Dienststelle aber erschöpft ist. Für solche Konstellationen ist der Verzicht eigentlich gedacht.“ Bei den Lehrern hingegen sehe es anders aus, „weil die Fahrten einen pädagogischen Zweck verfolgen und in aller Regel die Kultusministerien auch Verwaltungsvorschriften haben, die die Durchführung von Klassenfahrten vorsehen“. 

Dieser Beitrag ist ursprünglich bei ZDF online / heute.de erschienen. Autor: Christian Thomann-Busse