Seit 1974 haben Deutschlands Arbeitnehmer in fast allen Bundesländern ein Recht auf Bildungsfreistellung – auch Bildungsurlaub genannt. Doch kaum jemand nutzt es. Eine Bestandsaufnahme.
Bildungszeitgesetz heißt es in Baden-Württemberg, Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz in NRW oder in Thüringen Bildungsfreistellungsgesetz. Gemeint ist immer die gleiche Sache: Fünf Tage pro Jahr haben Arbeitnehmer pro Jahr das Recht auf einen bezahlten Bildungsurlaub.
Ausnahmen: Im Saarland sind es bis zu sechs Tage, in Bayern und Sachsen gibt es ihn gar nicht. Allgemeinbildung, politische und gewerkschaftliche sowie natürlich berufliche Bildung sollte Bildungsurlaub einbeziehen, als er 1974 in Deutschland gesetzlich verankert wurde.
Bildungsurlaub soll nah an der beruflichen Wirklichkeit sein
Geändert hat sich seitdem vor allem das Spektrum: Heute geht es vorrangig um Weiterbildungsangebote, die sich recht nah an der beruflichen Wirklichkeit orientieren. Plus rund ein Fünftel Angebote zur politischen Bildung. „Töpfern in der Toskana mag es früher mal gegeben haben, aber ich kenne solche Beispiele aus den letzten 20 Jahren nicht mehr“, sagt Ute Pippert, Referentin beim DGB Bildungswerk NRW.
Kaum geändert hingegen hat sich seit Beginn die Teilnehmerzahl. „Geschätzt wird die Quote auf ein bis zwei Prozent der Arbeitnehmer, aber die genaue Zahl wird nicht erhoben. Von den verschiedenen Anbietern weiß man aber, dass die Zahl der Teilnehmer auf dem niedrigen Niveau recht konstant ist“, so Pippert.
Für bis zu 99 Prozent aller Arbeitnehmer sind fünf Tage bezahlter Bildungsurlaub also kein Thema. Mauern da am Ende vor allem die Arbeitgeber? „Natürlich hören wir immer wieder mal, dass es Probleme mit dem Chef gibt, wenn Bildungsurlaub eingereicht wird“, sagt Ute Pippert. Einige Arbeitnehmer hätten es geschafft, ihre Unternehmen im Laufe der Zeit zu erziehen. Aber es gebe durchaus noch weitere Gründe für die geringe Teilnahme, so die Bildungsreferentin.
Auch nach 40 Jahren ist Bildungsurlaub nicht bei allen Arbeitnehmern angekommen
So ist das Thema offensichtlich auch nach mehr als 40 Jahren bei vielen Arbeitnehmern noch immer nicht angekommen. „Selbst als Gewerkschaft erinnern wir unsere Betriebsräte immer wieder daran, es bekannter zu machen. Aber so richtig kommt das nicht in die Gänge“, berichtet Pippert. Dann sei da gerade bei jüngeren Arbeitnehmern noch die Frage, wie man sich für Bildungsurlaub fünf Tage von der Familie freinehmen soll – „obwohl das meist gar nicht nötig ist, weil es viele Angebote in direkter Nähe gibt“.
Plus die oft hohe Belastung durch das Arbeitspensum und damit einhergehend das schlechte Gewissen Kollegen gegenüber. Und natürlich die Frage der Kosten für die Seminare. Die werden nämlich nicht vom Arbeitgeber übernommen. „Politisch gesehen ist das richtig“, so Pippert, „das ist der Preis der Freiheit.“ Für die überwältigende Mehrheit offensichtlich ein zu hoher Preis.
Weiterbildung findet vor allem vor allem im Unternehmen statt
Ist Deutschland unterm Strich also ein Land der Weiterbildungs-Unwilligen? Verschiedene Studien sprechen eine andere Sprache. So kommen die „Forschungs- und Arbeitsergebnisse aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung“ (BIBB) im Mai 2018 zu dem Schluss, dass der individuelle Weiterbildungsaufwand im Jahr 2015 fast 18 Milliarden Euro betragen hat. Finanziert aus eigener Tasche ebenso wie mit Hilfen durch beispielsweise die Agentur für Arbeit. Meister-BAföG, Bildungsprämien, Länderprogramme oder auch von Arbeitgebern.
Und das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) kam zu dem Ergebnis, dass sich im Jahr 2016 die Mitarbeiter von rund 85 Prozent aller Unternehmen weiterbilden konnten. Kosten: rund 33,5 Milliarden Euro. „Weiterbildung ist den Arbeitgebern in Deutschland ein ganz besonderes Anliegen“, sagt Barbara Dorn, Abteilungsleiterin für Berufliche Bildung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Fortbildung sei eine wesentliche Voraussetzung, um innovations- und wettbewerbsfähig zu bleiben – und damit auch die Zukunft der Arbeitnehmer zu sichern. „Mit jedem technischen Fortschritt müssen die Unternehmen ihre Mitarbeiter mitnehmen“, so Dorn.
Persönliche Skills ganz oben auf der Liste
Wobei sich die von Arbeitgebern angebotenen Fortbildungen eben nicht ausschließlich auf spezielle neue Arbeitsprozesse beziehen: „Oft geht es um den Erwerb persönlicher Kompetenzen, von der Kommunikation über Arbeitsorganisation bis zu Führungsqualitäten“, sagt Barbara Dorn. Und diese Kompetenzen seien gut für ein gesamtes Berufsleben – auch bei einem anderen Arbeitgeber.
17,3 Stunden hat sich laut IW-Studie jeder Mitarbeiter im Durchschnitt weitergebildet – elf Stunden in organisierten Lehrveranstaltungen plus sechs Stunden mit informellem Lernen (zum Beispiel über Fachliteratur oder digitale Lernangebote). Fünf Tage pro Jahr, so wie es der Bildungsurlaub ermöglichen würde, sind das noch lange nicht. Aber in der Breite hört sich das nach einem guten Schnitt an. Und vielleicht ist das bei der Mischung aus Privatem und Beruflichem, die uns Tag für Tag in Atem hält, für die Masse ja einfach schon genug.
- Bildung ist Ländersache – auch der Bildungsurlaub. Einen umfangreichen Überblick darüber, was in welchem Land möglich ist und wann Bildungsurlaub vom Arbeitgeber auch abgelehnt werden kann, hat die Stiftung Warentest zusammengestellt.
- Einen umfangreichen Überblick über Angebote gibt die Seite Bildungsurlaub.de.