Initiative Tierwohl: Politik der kleinen Schritte

Die Mehrheit der Deutschen isst Fleisch. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein für gute Bedingungen in den Mastbetrieben. Ein neues Label der Initiative Tierwohl könnte dabei helfen – fürs Erste zumindest ein wenig.

„Stammt diese Keule von einem glücklichen Hähnchen?“ Wer weiß, vielleicht stellt sich ja mancher so eine Frage beim Griff ins Kühlregal beim Discounter. „Zumindest etwas glücklicher als vorher“, könnte dann die Botschaft des neuen Labels der Initiative Tierwohl lauten. Ab April können Verbraucher anhand dieser Kennzeichnung erkennen, ob Geflügel, das sie im Einzelhandel kaufen, von einem Betrieb stammt, der nach den Richtlinien der Initiative Tierwohl arbeitet.

„Bekenntnis zu mehr Nachhaltigkeit“

Anfang 2015 ist das Projekt an den Start gegangen. Ziel: auf möglichst breiter Front nach und nach durch bessere Haltungsbedingungen mehr Tierwohl erreichen. Weniger Tiere in den Ställen, Beschäftigungsgegenstände für die Tiere oder Maßnahmen für ein besseres Stallklima gibt es aber nicht kostenlos.

Um diese Kosten der Landwirte für bessere Haltungsbedingungen zu kompensieren, hat die Initiative Tierwohl ein Finanzierungssystem entwickelt: Je verkauftem Kilogramm Geflügel- und Schweinefleisch zahlten die teilnehmenden Einzelhändler in den vergangenen drei Jahren 4 Cent in einen Fonds. Nun sind es 6,25 Cent. Gesellschafter der Initiative Tierwohl sind

  • Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie
  • Bauernverband
  • Raiffeisenverband
  • Handelsvereinigung für Marktwirtschaft
  • Verband der Fleischwirtschaft
  • Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft.

Allesamt Branchenverteter also, die bislang nicht unbedingt als Tierschützer in Erscheinung getreten sind. Und so hat die Initiative vom Start weg auch (teils harsche) Kritik einstecken müssen. Tierschutzorganisationen bemängeln bis heute viel zu lasche Vorgaben in der Tierhaltung. Verbraucherschützern war und ist das bisherige Label ein Dorn im Auge.

Dies sagt aktuell nämlich lediglich aus, dass für das gekaufte Fleisch im Supermarkt eine Abgabe an die Initiative Tierwohl erfolgt. Wer nicht genau aufs Kleingedruckte schaut, könnte da auch denken, dass die geschlachteten Tiere bereits unter besseren Bedingungen aufgewachsen wären. „Verbrauchertäuschung“, urteilen die Kritiker. Ab April wird das immerhin beim Geflügel anders: Von da an wird sichtbar, ob das Tier nach Vorgaben der Initiative gezüchtet wurde.

Handelspartner zahlen 6,25 Cent je kg Geflügel und Schwein an Initiative Tierwohl

3500 deutsche Betriebe in der Schweine- und Geflügelzucht haben in der ersten Phase von 2015 bis 2017 daran teilgenommen. Interessierte Landwirte gab es deutlich mehr, doch der Tierwohlfonds, gespeist vom Einzelhandel, hat in den ersten drei Jahren nicht mehr hergegeben.

Mit der Erhöhung der Abgabe des Einzelhandels auf 6,25 Cent je Kilogramm Schweine- und Geflügelfleisch sind seit Jahresanfang mehr landwirtschaftliche Betriebe dabei. „Wir konnten die Anzahl der teilnehmenden Betriebe auf gut 6000 erhöhen“, sagt Patrick Klein, Sprecher der Initiative Tierwohl.

Es ist eine Politik der kleinen Schritte, die die Brancheninitiative propagiert. „Wir müssen das pragmatisch angehen, wenn wir konsequent auf breiter Ebene mehr Tierwohl erreichen wollen“, so Klein – auch wenn dies manchem Kritiker nicht schnell genug gehe. „Wir müssen hier viele Akteure unter einen Hut bringen. Landwirte, Einkäufer und Industrie müssen wir da abholen, wo sie jetzt stehen. Und dann sind da schließlich noch die Verbraucher“, so Patrick Klein.

Einerseits gebe es laut Umfragen das Bekenntnis, für mehr Tierwohl auch deutlich höhere Preise zahlen zu wollen. „Aber die Entscheidung beim Einkauf sieht dann eben doch oft anders aus.“

Initiative Tierwohl eine „Gute Möglichkeit für die Zukunft“

Wenn im April nun die Kennzeichnung für Frischgeflügel aus teilnehmenden Betrieben der Initiative Tierwohl kommt, ist das sicherlich noch nicht das Siegel für eine komplett umgekrempelte Tierhaltung in Deutschland – aber immerhin ein gutes Signal.

„Zehn Prozent mehr Platz und mehr Beschäftigungsmaterial für die Tiere sind im Vergleich zu strengeren Tierschutz-Siegeln jetzt noch nicht die Welt, aber Deutschland steht bei dem Thema auch noch am Anfang“, sagt Prof. Lars Schrader, Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung in Celle, das zum Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit gehört.

Schrader ist externer Sachverständiger im Beraterausschuss der Initiative Tierwohl und kennt als Berater ebenfalls die Welt der strengeren Gütesiegel. „Die Botschaft, dass es Tieren besser gehen soll, ist bei den Tierhaltern klar angekommen. Und die Bereitschaft, dies auch umzusetzen, ist deutlich gewachsen. Aber viele fühlen sich auch an die Wand gedrängt“, so Schrader.

Es sei gut, dass man endlich ins Gespräch komme, statt sich nur Vorwürfe zu machen. Insofern biete die Initiative Tierwohl eine gute Möglichkeit, dass sich das Thema Tierwohl in Deutschland in der Breite auch bei den Tierhaltern und dem Handel sukzessive weiterentwickeln könne. „Wenn man da auch den Druck drauf lässt“.

Initiative Tierwohl: Wer und was steckt dahinter?

Anfang 2015 ging die Initiative Tierwohl an den Start. Träger ist die Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH. Gesellschafter der Initiative sind: Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie e.V., Deutscher Bauernverband e.V., Deutscher Raiffeisenverband e.V., Handelsvereinigung für Marktwirtschaft e.V., Verband der Fleischwirtschaft e.V., Zentralverband, der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.. Finanziert wird die Initiative über einen Fonds, in den teilnehmende Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels einzahlen.

4 Cent je verkauftem Kilo Schweinefleisch und Geflügel waren es in der ersten Periode 2015 bis 2017, seit Anfang 2018 sind es 6,25 Cent je kg. Als Handelspartner der ersten Periode waren dabei:

  • Aldi
  • Edeka
  • Kaiser’s Tengelmann
  • Kaufland
  • Lidl Deutschland
  • Netto Marken-Discount
  • Penny-Markt
  • real,-
  • Rewe.

In der ersten Periode umfasste die Initiative Tierwohl rund 12 Prozent der in Deutschland gehaltenen Schweine und rund 35 Prozent des Geflügels. In der gerade gestarteten Periode bis Ende 2020 soll der Anteil bei Schweinen auf 20 Prozent und bei Geflügel auf bis zu 60 Prozent steigen.

Geflügelzüchter, die mit ihrem Betrieb an der Initiative teilnehmen möchten, müssen folgende Pflichtkriterien erfüllen:

  • Zusätzlich zu lockerer Einstreu müssen Beschäftigungsmöglichkeiten (zum Beispiel Picksteine oder Strohballen) angeboten werden
  • bei Hähnchen ein Gegenstand je 150 Quadratmeter Fläche, bei Puten einer je 400 Quadratmeter
  • Hähnchen dürfen eine Besatzdichte von höchstens 35 kg Lebendgewicht je Quadratmeter nutzbarer Stallfläche haben
  • bei Putenhennen sind es 48 kg und bei Putenhähnen 53 kg
  • Hinzu kommen Stallklima- und Trinkwasserchecks.

Warum nicht auch ein Siegel für Schwein?

Warum kommt im April nur ein Siegel für Geflügel, das nach den Richtlinien der Initiative Tierwohl gehalten wird – nicht aber für Schwein? Schließlich führen die teilnehmenden Einzelhändler auch für Schweinefleisch 6,25 Cent je verkauften Kilo ab.

„Bei Geflügel ist es vergleichsweise einfach, unbehandeltes Geflügelfleisch, also beispielsweise Schenkel, Brust oder ganze Hähnchen, zu kennzeichnen. Hier haben wir es immer nur mit einem Mastbetrieb zu tun“, so Patrick Klein, Sprecher der Initiative Tierwohl. Bei Schweinen sei es deutlich komplizierter. „Da haben wir einen dreistufigen Produktionsprozess. Zunächst die sauen-haltenden Betriebe, wo die Ferkel zur Welt gebracht werden. Danach kommen die Betriebe zur Ferkelaufzucht und schließlich die Mastbetriebe“, so Klein.

Aktuell arbeite man an einer Lösung, um alle drei Produktionsprozesse miteinzubeziehen und transparent zu machen. Bis Ende 2018 soll ein Konzept vorliegen, damit Verbraucher per Siegel erfahren können, ob Schweine über den gesetzlichen Standards gehalten wurden. Aber das entwickeln wir schrittweise gemeinsam und wollen der Branche da nicht einfach etwas vorschreiben“, so Patrick Klein.

Geflügelzüchter: „Haben gute Erfahrungen gemacht“

Können schon zehn Prozent weniger Tiere in einem Stall etwas fürs Tierwohl bewirken? „Ja selbst hier sehen wir schon positive Auswirkungen“, sagt Philipp Beckhove, Hähnchenmäster aus Senden im Münsterland. Zum Start der Initiative Tierwohl hat Beckhove die Besatzdichte reduziert – von den gesetzlich maximal vorgegebenen 39 kg auf dann 35 kg.

„Außerdem haben wir zusätzliches Spielmaterial installiert. Am Anfang haben wir es mit Strohpresslingen zum Picken versucht, jetzt nutzen wir Torf, weil der besser angenommen wird.“ Insgesamt habe er den Eindruck, dass die Tiere sich wohler fühlen und sich mehr bewegen. Abseits solcher subjektiver Eindrücke gebe es aber auch klar messbare Ergebnisse. „Wir haben einen deutlichen Rückgang bei Fußballenentzündungen“, so Beckhove. Ein Befund, den der Schlachthof diagnostiziert.

„Früher lag der Anteil bei bis zu zehn Prozent, heute ist der Wert auf bis zu einem Prozent gesunken. Diese Entwicklung führe ich klar auf unsere geänderten Haltungsbedingungen zurück.“ Fußballenentzündungen entstehen, wenn Geflügel auf feuchter Einstreu stehen. Weniger Tiere bedeuten weniger Ausscheidungen, mehr Luftzirkulation und dadurch weniger Feuchtigkeit am Boden. „Wir können sagen, dass es unseren Tieren jetzt tatsächlich besser geht. Und für den Schlachthof ist das auch eine Win-Win-Situation, weil er mehr Hähnchenfüße nach China verkaufen kann, wo dies eine Delikatesse ist.“

2 Cent hat Beckhove aus dem Fonds der Initiative Tierwohl je Tier erhalten, um die Verkleinerung des Bestandes zu finanzieren. Ursprünglich waren 3,4 Cent kalkuliert, wegen der großen Nachfrage hatten sich die Züchter auf den geringeren Betrag geeinigt. Mit der jetzt beginnenden zweiten Phase werden es 2,75 Cent.

Experte: „Tierhalter schauen besser hin“

Nicht nur die Bedingungen in Aufzuchtbetrieben sind es, sondern auch das Bewusstsein der Tierhalter zum Thema Tierwohl. „Wir sehen das regelmäßig, wenn wir unterschiedliche Haltungsarten miteinander vergleichen, 20 vom Typ A, 20 vom Typ B. Oft ist es so, dass die Unterschiede innerhalb einer Haltungsart größer sind als zwischen den Haltungsarten. Dies hängt mit dem Engagement der Halter zusammen“, sagt Professor Lars Schrader, Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung in Celle.

Alleine die Teilnahme an einem Programm wie der Initiative Tierwohl kann schon positive Auswirkungen haben: „Die gucken besser hin. Auf diese Weise verändert sich nach und nach die Einstellung der Tierhalter. Man wird sensibler und bekommt einen anderen Blick auf die Dinge.“ Käfighaltung für Hühner und Vollspaltenhaltung bei Schweinen seien in der Nachkriegszeit zwar große Errungenschaften gewesen. Aber das Bewusstsein der Gesellschaft habe sich weiterentwickelt. Heute wolle man eben nicht nur ein Produkt, sondern eben auch Tierwohl. Das klappe jedoch nur, wenn nicht nur Landwirte und Fleischindustrie an einem Strang ziehen.

„Der große Player ist letztendlich der Handel, denn der muss es an den Mann bringen“, sagt Lars Schrader. Möglichst viele Akteure aus allen beteiligten Branchen von Anfang an mitzunehmen könnte also ein guter Ansatz für mehr Tierwohl sein – wenn auch mit kleinen Schritten. „Weitere Impulse könnte in Zukunft auch das staatliche Tierwohllabel geben, das gerade beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft entwickelt wird“, so Schrader.

Dort liegen die bislang kommunizierten Anforderungen irgendwo zwischen den bekannten Siegeln – deutlich über denen der Initiative Tierwohl und unter denen, die Tierschutzorganisationen vergeben. Wie es aussieht, könnten da Annäherungen wahrscheinlich werden.

Tierschutzbund: „Keine Perspektive für nachhaltigen Tierschutz“

Eine Lösung in der Breite mit nach und nach wachsenden Erfolgen. Schritt für Schritt. Das ist die Zielvorgabe der Initiative Tierwohl. Kritikern ist das zu wenig. So ist der Tierschutzbund, der anfangs im Beraterausschuss der Initiative war, bereits im September 2016 ausgestiegen.

„Aus Sicht des Verbandes setzt die Initiative Tierwohl weiterhin auf Quantität statt Qualität. Zudem bleibt auf nicht absehbare Zeit die Transparenz für den Verbraucher auf der Strecke“, so der Tierschutzbund damals in einer Stellungnahme zum Ausstieg. Eine Sichtweise, die weiterhin aktuell ist.

„Die Initiative will mit minimalen Anforderungen den Eindruck erwecken, es gehe den Tieren gut. Die wenigen verpflichtenden Kriterien stellen minimale Verbesserungen der meist vorherrschenden Ist-Situation dar, gehen aber kaum über den gesetzlichen Standard hinaus. Ein wirklicher Mehrwert im Sinne des Tierschutzes ist damit nicht erreicht. Zudem ist der bunte Strauß an Einzelmaßnahmen, aus denen der Landwirt frei wählen kann, nicht zielführend.“

Beim Tierschutzbund ist man der Überzeugung, dass es „in Zukunft vor allem strengere gesetzliche Vorgaben für alle Tierarten braucht – hier ist der Gesetzgeber gefragt“. Zudem müsse die Umgestaltung zu besonders tiergerechten Haltungsbedingungen durch den Gesetzgeber gefördert werden, denn Tierschutz koste Geld. Landwirte müssten entsprechend Bereitschaft zur Investition in tiergerechte Haltungssysteme zeigen.

„Solange Fleisch gegessen wird, braucht es hinsichtlich der Schlachtung mehr Forschung hin zur Entwicklung von tiergerechteren Betäubungsmethoden. Der Handel muss sich endlich seiner Verantwortung bewusst sein und seine Strategie wechseln – weg von „billig“ hin zu Produkten aus artgerechter Tierhaltung mit fairer Bezahlung für die erzeugenden Landwirte, die in mehr Tierschutz investieren“, so die Tierschützer.

Ebenso müsse der Verbraucher bereit sein, auf Billigprodukte zu verzichten beziehungsweise mehr Geld für mehr Tierschutz auszugeben. „Damit einhergehen sollte unbedingt die Einschränkung des Konsums tierischer Produkte seitens der Verbraucher. Denn eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise ist letztlich immer der direkteste Weg zu mehr Tierschutz.“