Bei Populismus klare Kante zeigen: Das scheint manchmal gar nicht so einfach zu sein, wenn einem starker Gegenwind ins Gesicht bläst. „Aber wenn wir Populisten das Feld überlassen, geschehen Dinge, die wir nicht wünschen“, sagt Stuttgarts Stadtdekan Christian Hermes im Interview.
Sie beziehen eine klare Position und sagen: „Fremdenhass hat im Christentum keinen Platz.“ Das hat Ihnen nicht nur freundliche Reaktionen eingebracht.
Christian Hermes: Ja, aber darauf war ich auch vorbereitet. Ich hatte schon im Jahr 2013 einen gigantischen Shitstorm, bei dem in den sozialen Medien unter anderem veröffentlicht wurde, wann ich Termine habe, an denen man mir mal richtig die Meinung sagen sollte. Ich wusste also ungefähr, was auf mich zukommen würde, als ich mich zum Wahlkampf in Baden-Württemberg gegen fremdenfeindliche Parolen positioniert habe.
Wie sahen die Reaktionen aus?
Hermes: Bei Facebook kamen die üblichen Beleidigungen und Beschimpfungen. Natürlich wurde außerdem thematisiert, dass sich ausgerechnet die katholische Kirche zurückhalten sollte – mit dem historischen Blick aufs Mittelalter. Und dann noch die Hinweise von Islamophoben, dass ich sicherlich zu den ersten gehören werde, die bald von Muslimen aufgehängt würden. Eigentlich ist es immer die gleiche Soße. Da wird viel Energie aufgewendet, aber ich frage mich manchmal, ob solche Kommentare mittlerweile vielleicht doch automatisiert verfasst werden.
Keinerlei positives Feedback?
Hermes: Doch, sogar eine Menge! Der Großteil der positiven Rückmeldungen kommt aber im echten Leben – öffentlich wie privat – und im persönlichen Gespräch. Das sind dann oft auch Momente, die mich fast peinlich berühren, wenn andere mir zu meinem Mut gratulieren.
Wieso peinlich berührt?
Hermes: Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass man sich als aufrechter Christ und Bürger Deutschlands positioniert, wenn Unglaubliches in die Welt gesetzt wird. Und ich finde es fast ein bisschen seltsam, dass dies eine Ausnahme ist. Ich habe lediglich eine unzweifelhafte Position unserer Kirche betont.
Sehen das auch Ihre Kirchenmitglieder so?
Hermes: Es gibt vereinzelt Kollegen, die darauf verweisen, dass es unter den AfD-Wählern ja auch aktive Katholiken gebe. Das möchte ich überhaupt nicht in Frage stellen. Aber das spielt für mich überhaupt keine Rolle, wenn sie extreme Positionen beziehen. Wir müssen uns auch innerhalb der Kirche der Situation stellen und fragen: Wie mutig sind wir denn eigentlich? Da ist manchmal noch Unsicherheit zu spüren.
Auch Unsicherheit, zu welchen Themen man sich äußern sollte?
Hermes: Ich bin sicherlich nicht qualifiziert, mich zu Details des deutschen Migrationsrechts zu äußern. Aber wenn gehetzt wird, wenn pauschal und rassistisch Menschen diffamiert, dämonisiert und entwürdigt werden, dann ist es Aufgabe der Kirche, klare Positionen zu beziehen. Da dürfen wir nicht schweigen.
Diejenigen, die Ihnen im echten Leben zusprechen, kennen Sie. Aber wer sind die Kritiker in den sozialen Medien?
Hermes: Mir scheint, das sind vor allem frustrierte „angry white men“, gefangen in ihrer social-media-Filterblase, die viel Zeit vor ihrem Computer verbringen. Besessen vom Schlagwort Lügenpresse und im Glauben, genau zu wissen, was der Islam mit uns vorhat und welche Grausamkeiten da geplant sind. Für diese Leute sind wir entweder nur dumme Gutmenschen oder haben bereits eine Mitschuld an der Auslöschung des deutschen Volkes. Wir sind die Verräter – was ja auch perfekt in die Logik von Verschwörungstheoretikern passt: Alle anderen haben nicht verstanden, was hier vorgeht. Ein teils sektenhaftes Verhalten, das man dann auch bei den entsprechenden Akteuren in der Politik wiederfindet. Wer sich erst einmal in seiner ideologischen Blase einzementiert hat, führt keine Diskussionen mehr, sondern nur noch Kämpfe. Das ist bei Pegidisten ebenso wie bei Scientologen.
Lässt sich dieser Trend im Populismus umkehren?
Hermes: Gegen Populismus hilft nur: Aufklärung, Dialogbereitschaft und politisches Engagement. Ich denke, dass Kirche und auch andere Institutionen zu politischer Bildung und Aufmerksamkeit beitragen müssen. Politik wird ja nicht von irgendwelchen Leuten da oben gemacht. Es geht um die „res publica“, die „öffentliche Sache“ aller, um uns und unsere Zukunft. Wir müssen uns um unsere Zukunft und um unseren Staat kümmern. Wenn wir Populisten das Feld überlassen, geschehen Dinge, die wir nicht wünschen und nicht wünschen können. Andererseits muss sich auch die Politik mehr Mühe geben, Probleme und Problemlösungen zu vermitteln und Partizipation nicht nur formal, sondern effektiv zu ermöglichen und zu fördern.
Dieser Beitrag ist ursprünglich bei ZDF online / heute.de erschienen. Autor: Christian Thomann-Busse