100 Jahre VHS: Wenn wir vom Jahr 1919 als Gründungsjahr der Volkshochschule in Deutschland reden, dann vor allem deshalb, weil in diesem Jahr in Deutschland besonders viele Volkshochschulen gegründet wurden. Was nicht heißt, dass die Idee im Jahr 1919 einfach so vom Himmel gefallen wäre. In der Tat nämlich entstand der Volksbildungsgedanke bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts.
Wie eine Volkshochschule funktionieren kann, hatte der dänische Pastor und Philosoph Nikolaj Frederik Severin Grundtvig (der Einfachheit halber meist nur N. F. S. Grundtvig genannt) im Jahr 1844 mit Gründung der ersten „Folkehøjskole“ in Rødding (Dänemark) gezeigt. Sein Ziel war es, Angehörige der einfachen (und in der Regel ungebildeten) Bevölkerung fit zu machen in dänischer Muttersprache und Geschichte, über den Staat und vornehmlich über landwirtschaftliche Themen zu informieren. Bis dieser Gedanke volksnaher Bildung in Deutschland großflächig aufgegriffen wurde, dauerte es – wie wir heute wissen – eben bis zum Jahr 1919.
Wer stand hinter der VHS-Idee?
„Wir müssen Brücken schlagen zwischen dem kleineren Volkteil, der geistig arbeitet, und dem immer größer werdenden Teile unserer Volksgenossen, der mit der Hand schafft, aber geistig hungrig ist.“ So heißt es im Erlass des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Konrad Haenisch, vom 25. Februar 1919. Und: „Über Stadt und Land verbreitete Volkshochschulen, in denen die so vielfach volksfremd gewordene Wissenschaft wieder deutsch zu Deutschen spricht, müssen uns helfen, das geistige Band zwischen allen Volksteilen wieder fest zu knüpfen und verlorenes Verständnis für gemeinsame Arbeit wieder zu erobern.“
Ganz so altruistisch, wie man denken könnte, war dieses Vorgehen natürlich nicht. Nicht nur der Erste Weltkrieg hatte große Wunden hinterlassen, auch von Seiten der Arbeiterbewegung blies dem Staat ordentlich Gegenwind ins Gesicht. Warum also sollte man Arbeiterverbänden das Feld der (politischen) Volksbildung überlassen? Eine – irgendwie neutralere – Lösung sollte her.
Und so hieß es im Erlass von 1919 auch: „Die Volkshochschulen wollen und sollen nicht staatlich geleitet werden. Aber der Staat wird und muss die Förderung der Volkshochschulen als eine ihm obliegende wichtige Aufgabe betrachten. Das Ministerium öffnet daher der Volkshochschulbewegung für ihre Arbeiten und Übungen alle staatlichen Unterrichtsräume und Sammlungen so weitgehend, wie es mit den Anforderungen eines geordneten Betriebes der Schulen und Hochschulen irgend vereinbar ist.“ Das war neu!
100 Jahre VHS in Deutschland – und was wird heute unterrichtet?
899 Volkshochschulen in 16 Landesverbänden, 700.000 Veranstaltungen mit 18,2 Millionen Unterrichtsstunden und 9 Millionen Teilnehmern: Das sind die Eckdaten der aktuell vorliegenden VHS-Zahlen zum Jahr 2016. Sowohl was Veranstaltungen (213.560) als auch Unterrichtsstunden (9,7 Mio.) angeht, liegen Sprachkurse vorne.
In etwa ebenso viele Veranstaltungen (211.103) gab es zuletzt im Bereich Gesundheit – hier allerdings mit deutlich weniger Unterrichtsstunden (knapp 3 Mio.). Klar, ein Sprachkurs ist nun mal ausgesprochen langfristig angelegt. Fast zwei Drittel machen Sprachen und Gesundheit bei den VHS-Veranstaltungen deutschlandweit aus. Den Rest teilen sich die Programmbereiche Kultur/Gestalten, Politik/Gesellschaft/Umwelt, Arbeit/Beruf sowie Grundbildung/Schulabschlüsse.
Schlusslicht bei den Veranstaltungen ist der Bereich Grundbildung/Schulabschlüsse sowohl bei Veranstaltungen (19.663) als auch bei Teilnehmerzahlen (164.309). Die rote Laterne bei den Unterrichtsstunden hat hingegen der Bereich Politik/Gesellschaft/Umwelt mit insgesamt knapp 728.000 Stunden. Man geht halt lieber zum Englisch-Kurs, der einen beruflich weiter bringt, oder zum Yoga, wenn es Rücken zwackt, als sich in der Freizeit über Politik den Kopf zu zerbrechen.
Wie finanzieren sich Volkshochschulen?
7 Euro für den internationalen Mitsingabend – okay. Aber 216 Euro für einen fünftägigen Kurs in Photoshop? Verdient sich so eine VHS mit ihrem Angebot eine goldene Nase? Ganz und gar nicht… Tatsächlich machen die Teilnehmergebühren im deutschlandweiten Schnitt gerade einmal 37,9 Prozent des Gesamtbudgets aus. Der Rest ist Zuschussgeschäft. Laut Jahresbericht des Deutschen Volkshochschul-Verbandes 2017 kommen 13,5 Prozent von den Ländern, 23 Prozent sind kommunale Zuschüsse und weitere 25,6 Prozent nicht näher erläuterte „andere Einnahmen“.
Da könnte sich mancher natürlich fragen, ob Kursangebote wie „Klangschalenharmonisierung“, „Lach-Yoga“ oder „Gesichtsmuskel-Training“ es wert sind, dermaßen subventioniert zu werden. Gegenfrage: Warum denn nicht?
Wirtschaftlich denken können Volkshochschulen nämlich schon längst: Wenn bestimmte Kursangebote nicht gebucht werden, fliegen sie aus dem Programm. Und warum eigentlich sollte Gesichtsmuskel-Training weniger allgemeinbildend sein als französische Konversation? Alles eben eine Frage der persönlichen Sichtweise.
Und auch 100 Jahre nach der großen VHS-Gründungswelle liegt man so im Prinzip doch auch heute noch genau auf Linie von Fritz Adler, der 1919 vom Rat der Stadt Stralsund den Auftrag erhalten hatte, dort die Volkshochschule aufzubauen: „Die Volkshochschule darf nicht nur von einigen Pädagogen und Gelehrten in der Art und Richtung ihres Wirkens ausgebaut werden, sondern wir müssen auch erfahren, was das Volk will und fordert.“ Richtig so.